Psychologische Hypothesen über Fehlsichtigkeit
Verfasst: 28.12.2012 09:46
Hallo zusammen,
Seit dem Sommer beschäftige ich mich nun mit meinen Augen, meinem Sehen und
allem was für mich daran hängt. Entsprechend bin ich aufmerksam darüber, was ich an anderen sehen kann und von ihnen über ihr Sehen erfahre. Und ich studiere das zusammengetragene Wissen dieses Forums.
Damit kommt in mir die Frage auf: warum und wie entsteht eigentlich die Fehlsichtigkeit? Diese Frage finde ich sinnvoll. Denn wenn ich die Ursache finden kann, warum ich die Fehlsichtigkeit hergestellt habe, ist es vielleicht leichter, mich auch wieder daraus zu lösen.
Ich möchte damit niemand zu nahe treten. Dass Belastungen in der Kindheit auftreten ist normal. Die ideale Kindheit habe ich noch nirgends entdecken können. Im Gegenteil empfinde ich die Entwicklung einer Fehlsichtigkeit als eleganten Kunstgriff der Seele, um in belastenden Situationen nicht krank werden zu müssen, sondern sich unbewusst gegen psychisch überfordernde Inhalte abzugrenzen.
Leute mit „perfekter Kindheit“ (soweit es die geben könnte) würden vermutlich auch nicht auf der Erde umherstolpern, sondern wüssten einen wesentlich angenehmeren Aufenthaltsort...
Daher möchte ich mal einige Übersichtshypothesen darüber aufstellen, warum und wie Menschen Fehlsichtigkeit entwickeln. So wie es sich mir bis jetzt darstellt.
1. Kurzsichtigkeit (vermutlich auch Astigmatismus und Schielen)
a. Entstehung – Kurzsichtigkeit (und Schielen) entstehen offenbar
überwiegend in den Entwicklungsjahren. Kurzsichtigkeit ist bei Naturvölkern ein nahezu unbekanntes Phänomen.
b. Der innere Auslöser – scheint ein unbewusstes Überforderungsgefühl zu
sein: „das ertrage ich nicht/das will ich nicht sehen“. Eine Angst, die
Anforderungen der Umgebung nicht so beantworten zu können, dass das
Kind (die/der Jugendliche) sich selbst und seine Person bewahren kann.
Konflikte: z.B. Machtlosigkeitsgefühle gegenüber Ungerechtigkeit.
Plakativ gesagt: Es stellt sich als eine Angst davor dar, das eigene Leben nicht entspannt und zur eigenen Zufriedenheit bewältigen zu können.
c. Äußere Anlässe – können sein: psychische Überlastungen der
Heranwachsenden in der Familie (z. B. bedrohlich empfundener Streit, Trennung/Scheidung der Eltern, Gewalt zwischen den Eltern oder dem Kind gegenüber, Erziehungskonflikte) – destruktive Umgangsmuster in den Beziehungszusammenhängen (Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Entwertungen, Sündenbockrolle) - Stress in der Schule (Beschämung durch Lehrer, Hänseleien, Außenseiterrolle)
d. Problemlösung - Das psychische System ist überlastet durch die als
überfordernd erlebten Anforderungen aus der Umgebung. Auge und Gehirn
übernehmen eine unbewusste Schutzfunktion, indem sie das Zuviel an
Belastung aus der Umwelt ausblenden und in Unschärfe des
Sehens/Verschwommenheit/schemenhaftes Wahrnehmen/Nebel hüllen. Der
Gesichtskreis wird eingeschränkt, so dass möglichst nur solche Situationen
sichtbar/wahrnehmbar bleiben, die das Kind/der/die Jugendliche psychisch
bewältigen kann.
(Z.B. Bedrohlich empfundener Streit zwischen den Eltern Das Kind bezieht sich auf seine Puppe / Auto / Bücher und spielt dort seine heile Kinderwelt. So als würde ich im TV bei einer Gewaltszene nicht mehr aufs Bild sehen, sondern auf mein Strickzeug, und damit den visuellen Kanal abschalten.)
Eine Möglichkeit fand ich auch, dass jemand unbewusst in der Kindheit in einer traumatischen Situation mit einem Auge das halbe Gesichtsfeld ausblendete, so dass mit beiden Augen nur insgesamt ein 3/4 Gesichtsfeld verblieb.
Da das Kind dann im Alltag und entspannten Situationen doch bewusst mehr sehen will, als Augen/Gehirn in ihrer chronifizierten Schutzfunktion zulassen, strengt es sich sehr an, fernere Dinge zu sehen, was zu vielen muskulären Verspannungen um Augen, Gesicht, Kopf, Schultern usw. führen kann. (Widerspruch zwischen dem unbewussten Schutz, der durch Augen/Gehirn eingerichtet wird und sich chronifiziert und dem Bewusstsein, das Dinge in der Ferne selbstbestimmt erkennen möchte.)
e. Behandlung - der/die Heranwachsende bekommt eine Brille. Die Brille
ermöglicht es, Wahrnehmungen auszublenden, die man nicht sehen möchte (s.
1 c). Sie ermöglicht, sich selektiv nur die Dinge aus der Entfernung
heranzuholen, auf die man sich konzentrieren möchte, die man bewusst wirklich
sehen möchte. Und damit ermöglicht sie ein unbewusstes Ausblenden des überfordernden Restes der Wahrnehmung. Die Brille engt das Gesichtsfeld ein und minimiert das periphere Sehen.
Frage: ist es nicht eine Folter für das Psychische System, mit Brille nun doch wieder die Dinge deutlich sehen zu können (z.B. Streit der Eltern), die doch ausgeblendet werden sollten? Oder schirmt die Brille auch noch genug Information ab, dass die Schutzfunktion des Nicht-Wahrnehmen-müssens erhalten bleibt? Oder wird deshalb die Brillenstärke immer höher?
f. Funktion - Wenn Auge/Gehirn alles klar sehen/erkennen/deuten würden, müsste sich das Psychische, emotionale und geistige System bewusst entscheiden, was es wahrnehmen will, was es ausblenden will, womit es sich beschäftigen will, und womit nicht. Es müsste eine Selektion/Auswahl treffen, wie es z. B. mit der Bedrohlichkeit durch den Streit der Eltern umgehen will und sich dabei mit Vertrauen und Selbstvertrauen selbst Halt geben will / z-B.: „so ein Streit geht vorbei und er kann unserer Familie nichts anhaben. Und wenn nicht, wird es einen anderen Weg geben, bei dem es uns auch gut gehen kann“. So ein inneres Vertrauen/ Selbstvertrauen ist dem Kind/Heranwachsenden zu dem Zeitpunkt der Entstehung der Kurzsichtigkeit aus irgendeinem Grund nicht möglich.
g. Schielen – Meine Überlegung: beim Schielen gehen beide Augen nach innen zur Nasenwurzel. Das hat den Effekt, dass die Augenlieder nach unten gezogen werden, und die Blickrichtung nach vorn abschotten. Bsp.: ein Kind will nicht sehen, dass die Mutter es böse anguckt und ihm Vorwürfe macht über etwas, von dem es nicht weiß, warum das falsch war. Es wird aufgefordert, die Mutter anzusehen. Aber es bleibt die Möglichkeit, die Augen wegzudrehen und somit die klare Sicht zu verhindern. - Ich fand auch die Möglichkeit, die Augen über Kreuz zu stellen: das re Augen guckt auf die li Seite des Gesichtsfeldes und umgekehrt. Das schafft außerhalb eines bestimmten Radius so etwas wie eine weiße Wand.
h. Zu Astigmatismus fällt mir nicht viel ein. Möglicherweise entsteht durch die Anstrengung, trotz Kurzsichtigkeit mehr sehen zu wollen, als die Augen hergeben, eine muskuläre Dauerspannung um Augen, Gesicht, Kopf usw., weil der/die Heranwachsende trotz Kurzsichtigkeit doch noch etwas genauer erkennen will. Damit wird die Augenmuskulatur durch diverse Gesichtsverspannungen in unterschiedliche Richtungen gezogen, und so dass der Seheindruck verzerrt wird. Und die Schärfe der Wahrnehmung damit auch abgemildert wird.
i. Ursache – Warum das psychische System die Lösung über Auge und Gehirn sucht, hängt vermutlich von unterschiedlichen Bedingungen ab: genetisch, Problemlösemechanismen der Familie…
Denkbar wären ja auch andere psychische Lösungsmöglichkeiten, um Teile der Wahrnehmung auszublenden: Verhaltensstörung, Flucht auf die Traumebene, Neurose, Persönlichkeitsstörung, Trauma, körperliche Krankheit, Schwerhörigkeit…
Wer es geschafft hat, die Belastungen der Kindheit und des Beginns des Erwachsenenalters ohne Fehlsichtigkeit zu überstehen, ist allerdings noch lange
nicht aus dem Schneider. Auch wer bis dahin gute bzw. sehr gute Augen hatte, kann später noch eine Fehlsichtigkeit entwickeln.
Es besteht durchaus auch noch die Möglichkeit, dass das Schicksal später zuschlägt und sie/ihn beutelt, indem Schicksalsschläge die Abwehr überwältigen, und er/sie dann eine Weitsichtigkeit entwickelt. Hierzu meine Überlegungen:
2. Weitsichtigkeit
a. Entstehung – Weitsichtigkeit entsteht vorwiegend in den fortgeschrittenen Jahren.
b. innerer Auslöser – scheint ein unbewusstes Gefühl des Zuviel an Belastung
im weiteren Verlauf des Lebens zu sein: „mir reicht´s, es macht keinen Spaß mehr, das will ich nicht sehen, das kenne ich alles schon, das wird mir zu viel, so genau will ich das gar nicht mehr wissen“ – oder auch: „das ertrage ich nicht, das ist das Schlimmste was mir je passieren konnte, das halte ich nicht aus, so kann ich nicht leben, wer bin ich überhaupt noch“ – oder auch: „das will ich nicht wissen, das ist mir zu viel, so viel Elend in der Welt nah und fern, und dem gegenüber so machtlos zu sein, ertrage ich nicht“
Plakativ gesagt: Die Weitsichtigkeit stellt sich vielleicht als eine Angst davor dar, dem Ende des eigenen Lebens entgegen zu gehen und einen Sinn darin zu finden.
Die äußeren Anforderungen sind zurückgegangen, und nun wäre die Motivierung von innen heraus angesagt, sowie die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit und dem Sinn des eigenen Lebens: wer man eigentlich ist, und wozu man hier herum gelaufen ist. Und ob das nicht auch jeder andere genauso hätte machen können, bzw. was ist eigentlich das Eigne, Einzigartige, das niemand anders so hätte in die Welt bringen können?
c. äußerer Anlass – verschiedene Verluste, die mit dem Älterwerden
einhergehen, setzen ein: - die Kinder sind aus dem Haus, nur noch selten da - beruflich (Frustration durch unbefriedigende Arbeitsbedingungen; der Zenit ist überschritten; das Motiv schwindet, sich in etwas reinzuknien; Burnout; Verlust der Arbeit) - Körper (jugendliche Schönheit schwindet, Kräfte gehen zurück, Verlass auf den Körper schwindet, Krankheitsserien treten auf, Krebsbehandlung durch Chemo) - Partnerschaft/Beziehungen (Unzufriedenheit, Konflikte, Trennung/ Scheidung; katastrophaler Verlust von geliebten Menschen durch Tod; Rückzug; Einsamkeit) - Lebenssinn (Angst vor dem Abbau auf verschiedenen Gebieten; Enttäuschung was man im Leben erreichen konnte, was nicht; der eigene Tod rückt näher und damit die unbewusste Angst, dieses wahrzunehmen, sich damit auseinander zu setzen) – Konflikte (Informationsflut, traumatische Nachrichten von Gewalt und Ungerechtigkeit aus aller Welt und Machtlosigkeitsgefühle dem gegenüber).
d. Problemlösung – Das psychische System ist überlastet durch die als
überfordernd erlebten Anforderungen des Lebens und den eigenen, als
unzureichend erlebten, Umgang damit. Auge und Gehirn übernehmen eine
unbewusste Schutzfunktion. Sie blenden das Zuviel an Belastung aus, indem
sie das Nahe undeutlich machen (Schrift/Information, Feinarbeit, z. B.
Nähen). Der Blick wird zerstreut, ungenau, global, interessiert sich nicht
mehr für die Details, für das Hier und Jetzt. Er schweift in die Ferne, in die
Vergangenheit, nach innen.
Wie schon Konfuzius sagte: man stolpert nur über Steine nicht über Berge.
e. Behandlung – der/die im Lebensalter Fortgeschrittene bekommt eine
Lesebrille. Die Lesebrille ermöglicht es, Wahrnehmungen auszublenden, die
man nicht sehen möchte (s. 2 c). Sie ermöglicht, sich selektiv nur die Dinge
aus der Nähe genauer anzusehen, auf die man sich bewusst konzentrieren möchte, die man wirklich wissen will. Und damit ermöglicht sie ein leichteres Ausblenden des unerwünschten Restes der Wahrnehmung in der näheren Umgebung.
f. Funktion – Ohne die Lesebrille gibt es mit Weitsichtigkeit verschiedene Möglichkeiten, die Augen zu richten:
- Gleichgültiger Streublick: starr nach vorn gerichtete leere Augen, die alles sehen, wobei das Gehirn nichts davon wirklich wissen will. Etwa wie erschöpfte Kriegsheimkehrer, die nur noch Schritt vor Schritt setzen, und nichts mehr aufnehmen können, weil sie schon zu viel gesehen haben.
- Durch die Undifferenziertheit des Blickes erscheint die Welt immer gleich, so als würde sich außen nie etwas verändern. Anregungen von außen werden nicht aufgenommen und das System erstarrt nach und nach. Man sieht alt aus.
Rilke „Der Tiger“: „Sein Blick ist vom Vorüberziehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält,
es ist als ob es tausend Stäbe gäbe,
und hinter tausend Stäben keine Welt….
- Hängender Glotzblick: mit hängendem Kopf nach vorn gerichteter passiv gestellter Blick, der quasi durch die sichtbare Welt hindurch nach irgendwo hinten guckt, ohne etwas im Hier und Jetzt wirklich wahrzunehmen. Vermutlich ein Blick in die Vergangenheit mit Hadern, Zweifel, Selbstvorwürfen. - Oder in die Zukunft mit hoffnungsloser, pessimistischer Perspektive.
- Geschlossene Augen/Blick nach innen, wegträumen nach nirgendwo, sich aus dem Hier und Jetzt davon stehlen in eine andere/bessere? Welt..
- Symbolisch: darüber hinwegsehen - das Hier und Jetzt nicht mehr so streng beurteilen; evtl. Altersweisheit, d h. möglicherweise, sich nicht mehr über so viele Kleinigkeiten aufregen.
g. Weitsichtigkeit im frühen Kindesalter – dazu habe ich keine Erfahrungen. Möglicherweise ist es ein vorkommendes Phänomen, das keine weiteren psychischen Belastungen anzeigt, sondern einfach nur einen möglichen Weg, bis Kinder sich auf die normale Sichtigkeit einstellen können.
j. Ursache – vermutlich analog 1 i. Warum das psychische System die Lösung über Auge und Gehirn sucht, hängt vermutlich von unterschiedlichen Bedingungen ab: genetisch, Problemlösemechanismen der Familie…
Denkbar wären ja auch andere psychische Lösungsmöglichkeiten, um mit den unbewussten Ängsten und/oder Überdruss umzugehen: Midlivekrise, neues Haus, neue Familie, neues Kind; Reisen, Kreativität; Bewusstseins- erweiternde Kurse (Yoga, Fitness, Wellness, Selbsterfahrung u. ä.) oder auch Reha/Klinik, Schwerhörigkeit, Depression, Suizid.
Was ich ausdrücken möchte ist nicht, dass Fehlsichtigkeit eine Krankheit ist, sondern dass es eine Schutzfunktion ist, die Augen/Gehirn in überlastenden Situationen einnehmen und chronifizieren, wenn ich sie mir nicht bewusst mache.
So wie die Verdrängung, die auch eine notwendige Funktion unserer Struktur ist, weil wir nicht alles Wissen in der Welt gleichzeitig verkraften.
Und meine Überlegung ist, dass die Bewusstheit darüber mir helfen kann, zu verstehen, warum ich diese Schutzfunktion eingenommen habe. Und dass mir das helfen könnte, die Fehlsichtigkeit aufzulösen.
Ich würde mich freuen, wenn ihr mir Rückmeldung geben würdest, ob euch etwas davon bekannt vorkommt, und ob ihr euch eine Wahrnehmung der Ursachen als hilfreich vorstellen könnt, die jetzige Fehlsichtigkeit aufzulösen.
Auch Korrektur fände ich hilfreich, ob ich etwas völlig falsch wahrnehme.
Liebe Grüße
Sina
Seit dem Sommer beschäftige ich mich nun mit meinen Augen, meinem Sehen und
allem was für mich daran hängt. Entsprechend bin ich aufmerksam darüber, was ich an anderen sehen kann und von ihnen über ihr Sehen erfahre. Und ich studiere das zusammengetragene Wissen dieses Forums.
Damit kommt in mir die Frage auf: warum und wie entsteht eigentlich die Fehlsichtigkeit? Diese Frage finde ich sinnvoll. Denn wenn ich die Ursache finden kann, warum ich die Fehlsichtigkeit hergestellt habe, ist es vielleicht leichter, mich auch wieder daraus zu lösen.
Ich möchte damit niemand zu nahe treten. Dass Belastungen in der Kindheit auftreten ist normal. Die ideale Kindheit habe ich noch nirgends entdecken können. Im Gegenteil empfinde ich die Entwicklung einer Fehlsichtigkeit als eleganten Kunstgriff der Seele, um in belastenden Situationen nicht krank werden zu müssen, sondern sich unbewusst gegen psychisch überfordernde Inhalte abzugrenzen.
Leute mit „perfekter Kindheit“ (soweit es die geben könnte) würden vermutlich auch nicht auf der Erde umherstolpern, sondern wüssten einen wesentlich angenehmeren Aufenthaltsort...
Daher möchte ich mal einige Übersichtshypothesen darüber aufstellen, warum und wie Menschen Fehlsichtigkeit entwickeln. So wie es sich mir bis jetzt darstellt.
1. Kurzsichtigkeit (vermutlich auch Astigmatismus und Schielen)
a. Entstehung – Kurzsichtigkeit (und Schielen) entstehen offenbar
überwiegend in den Entwicklungsjahren. Kurzsichtigkeit ist bei Naturvölkern ein nahezu unbekanntes Phänomen.
b. Der innere Auslöser – scheint ein unbewusstes Überforderungsgefühl zu
sein: „das ertrage ich nicht/das will ich nicht sehen“. Eine Angst, die
Anforderungen der Umgebung nicht so beantworten zu können, dass das
Kind (die/der Jugendliche) sich selbst und seine Person bewahren kann.
Konflikte: z.B. Machtlosigkeitsgefühle gegenüber Ungerechtigkeit.
Plakativ gesagt: Es stellt sich als eine Angst davor dar, das eigene Leben nicht entspannt und zur eigenen Zufriedenheit bewältigen zu können.
c. Äußere Anlässe – können sein: psychische Überlastungen der
Heranwachsenden in der Familie (z. B. bedrohlich empfundener Streit, Trennung/Scheidung der Eltern, Gewalt zwischen den Eltern oder dem Kind gegenüber, Erziehungskonflikte) – destruktive Umgangsmuster in den Beziehungszusammenhängen (Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Entwertungen, Sündenbockrolle) - Stress in der Schule (Beschämung durch Lehrer, Hänseleien, Außenseiterrolle)
d. Problemlösung - Das psychische System ist überlastet durch die als
überfordernd erlebten Anforderungen aus der Umgebung. Auge und Gehirn
übernehmen eine unbewusste Schutzfunktion, indem sie das Zuviel an
Belastung aus der Umwelt ausblenden und in Unschärfe des
Sehens/Verschwommenheit/schemenhaftes Wahrnehmen/Nebel hüllen. Der
Gesichtskreis wird eingeschränkt, so dass möglichst nur solche Situationen
sichtbar/wahrnehmbar bleiben, die das Kind/der/die Jugendliche psychisch
bewältigen kann.
(Z.B. Bedrohlich empfundener Streit zwischen den Eltern Das Kind bezieht sich auf seine Puppe / Auto / Bücher und spielt dort seine heile Kinderwelt. So als würde ich im TV bei einer Gewaltszene nicht mehr aufs Bild sehen, sondern auf mein Strickzeug, und damit den visuellen Kanal abschalten.)
Eine Möglichkeit fand ich auch, dass jemand unbewusst in der Kindheit in einer traumatischen Situation mit einem Auge das halbe Gesichtsfeld ausblendete, so dass mit beiden Augen nur insgesamt ein 3/4 Gesichtsfeld verblieb.
Da das Kind dann im Alltag und entspannten Situationen doch bewusst mehr sehen will, als Augen/Gehirn in ihrer chronifizierten Schutzfunktion zulassen, strengt es sich sehr an, fernere Dinge zu sehen, was zu vielen muskulären Verspannungen um Augen, Gesicht, Kopf, Schultern usw. führen kann. (Widerspruch zwischen dem unbewussten Schutz, der durch Augen/Gehirn eingerichtet wird und sich chronifiziert und dem Bewusstsein, das Dinge in der Ferne selbstbestimmt erkennen möchte.)
e. Behandlung - der/die Heranwachsende bekommt eine Brille. Die Brille
ermöglicht es, Wahrnehmungen auszublenden, die man nicht sehen möchte (s.
1 c). Sie ermöglicht, sich selektiv nur die Dinge aus der Entfernung
heranzuholen, auf die man sich konzentrieren möchte, die man bewusst wirklich
sehen möchte. Und damit ermöglicht sie ein unbewusstes Ausblenden des überfordernden Restes der Wahrnehmung. Die Brille engt das Gesichtsfeld ein und minimiert das periphere Sehen.
Frage: ist es nicht eine Folter für das Psychische System, mit Brille nun doch wieder die Dinge deutlich sehen zu können (z.B. Streit der Eltern), die doch ausgeblendet werden sollten? Oder schirmt die Brille auch noch genug Information ab, dass die Schutzfunktion des Nicht-Wahrnehmen-müssens erhalten bleibt? Oder wird deshalb die Brillenstärke immer höher?
f. Funktion - Wenn Auge/Gehirn alles klar sehen/erkennen/deuten würden, müsste sich das Psychische, emotionale und geistige System bewusst entscheiden, was es wahrnehmen will, was es ausblenden will, womit es sich beschäftigen will, und womit nicht. Es müsste eine Selektion/Auswahl treffen, wie es z. B. mit der Bedrohlichkeit durch den Streit der Eltern umgehen will und sich dabei mit Vertrauen und Selbstvertrauen selbst Halt geben will / z-B.: „so ein Streit geht vorbei und er kann unserer Familie nichts anhaben. Und wenn nicht, wird es einen anderen Weg geben, bei dem es uns auch gut gehen kann“. So ein inneres Vertrauen/ Selbstvertrauen ist dem Kind/Heranwachsenden zu dem Zeitpunkt der Entstehung der Kurzsichtigkeit aus irgendeinem Grund nicht möglich.
g. Schielen – Meine Überlegung: beim Schielen gehen beide Augen nach innen zur Nasenwurzel. Das hat den Effekt, dass die Augenlieder nach unten gezogen werden, und die Blickrichtung nach vorn abschotten. Bsp.: ein Kind will nicht sehen, dass die Mutter es böse anguckt und ihm Vorwürfe macht über etwas, von dem es nicht weiß, warum das falsch war. Es wird aufgefordert, die Mutter anzusehen. Aber es bleibt die Möglichkeit, die Augen wegzudrehen und somit die klare Sicht zu verhindern. - Ich fand auch die Möglichkeit, die Augen über Kreuz zu stellen: das re Augen guckt auf die li Seite des Gesichtsfeldes und umgekehrt. Das schafft außerhalb eines bestimmten Radius so etwas wie eine weiße Wand.
h. Zu Astigmatismus fällt mir nicht viel ein. Möglicherweise entsteht durch die Anstrengung, trotz Kurzsichtigkeit mehr sehen zu wollen, als die Augen hergeben, eine muskuläre Dauerspannung um Augen, Gesicht, Kopf usw., weil der/die Heranwachsende trotz Kurzsichtigkeit doch noch etwas genauer erkennen will. Damit wird die Augenmuskulatur durch diverse Gesichtsverspannungen in unterschiedliche Richtungen gezogen, und so dass der Seheindruck verzerrt wird. Und die Schärfe der Wahrnehmung damit auch abgemildert wird.
i. Ursache – Warum das psychische System die Lösung über Auge und Gehirn sucht, hängt vermutlich von unterschiedlichen Bedingungen ab: genetisch, Problemlösemechanismen der Familie…
Denkbar wären ja auch andere psychische Lösungsmöglichkeiten, um Teile der Wahrnehmung auszublenden: Verhaltensstörung, Flucht auf die Traumebene, Neurose, Persönlichkeitsstörung, Trauma, körperliche Krankheit, Schwerhörigkeit…
Wer es geschafft hat, die Belastungen der Kindheit und des Beginns des Erwachsenenalters ohne Fehlsichtigkeit zu überstehen, ist allerdings noch lange
nicht aus dem Schneider. Auch wer bis dahin gute bzw. sehr gute Augen hatte, kann später noch eine Fehlsichtigkeit entwickeln.
Es besteht durchaus auch noch die Möglichkeit, dass das Schicksal später zuschlägt und sie/ihn beutelt, indem Schicksalsschläge die Abwehr überwältigen, und er/sie dann eine Weitsichtigkeit entwickelt. Hierzu meine Überlegungen:
2. Weitsichtigkeit
a. Entstehung – Weitsichtigkeit entsteht vorwiegend in den fortgeschrittenen Jahren.
b. innerer Auslöser – scheint ein unbewusstes Gefühl des Zuviel an Belastung
im weiteren Verlauf des Lebens zu sein: „mir reicht´s, es macht keinen Spaß mehr, das will ich nicht sehen, das kenne ich alles schon, das wird mir zu viel, so genau will ich das gar nicht mehr wissen“ – oder auch: „das ertrage ich nicht, das ist das Schlimmste was mir je passieren konnte, das halte ich nicht aus, so kann ich nicht leben, wer bin ich überhaupt noch“ – oder auch: „das will ich nicht wissen, das ist mir zu viel, so viel Elend in der Welt nah und fern, und dem gegenüber so machtlos zu sein, ertrage ich nicht“
Plakativ gesagt: Die Weitsichtigkeit stellt sich vielleicht als eine Angst davor dar, dem Ende des eigenen Lebens entgegen zu gehen und einen Sinn darin zu finden.
Die äußeren Anforderungen sind zurückgegangen, und nun wäre die Motivierung von innen heraus angesagt, sowie die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit und dem Sinn des eigenen Lebens: wer man eigentlich ist, und wozu man hier herum gelaufen ist. Und ob das nicht auch jeder andere genauso hätte machen können, bzw. was ist eigentlich das Eigne, Einzigartige, das niemand anders so hätte in die Welt bringen können?
c. äußerer Anlass – verschiedene Verluste, die mit dem Älterwerden
einhergehen, setzen ein: - die Kinder sind aus dem Haus, nur noch selten da - beruflich (Frustration durch unbefriedigende Arbeitsbedingungen; der Zenit ist überschritten; das Motiv schwindet, sich in etwas reinzuknien; Burnout; Verlust der Arbeit) - Körper (jugendliche Schönheit schwindet, Kräfte gehen zurück, Verlass auf den Körper schwindet, Krankheitsserien treten auf, Krebsbehandlung durch Chemo) - Partnerschaft/Beziehungen (Unzufriedenheit, Konflikte, Trennung/ Scheidung; katastrophaler Verlust von geliebten Menschen durch Tod; Rückzug; Einsamkeit) - Lebenssinn (Angst vor dem Abbau auf verschiedenen Gebieten; Enttäuschung was man im Leben erreichen konnte, was nicht; der eigene Tod rückt näher und damit die unbewusste Angst, dieses wahrzunehmen, sich damit auseinander zu setzen) – Konflikte (Informationsflut, traumatische Nachrichten von Gewalt und Ungerechtigkeit aus aller Welt und Machtlosigkeitsgefühle dem gegenüber).
d. Problemlösung – Das psychische System ist überlastet durch die als
überfordernd erlebten Anforderungen des Lebens und den eigenen, als
unzureichend erlebten, Umgang damit. Auge und Gehirn übernehmen eine
unbewusste Schutzfunktion. Sie blenden das Zuviel an Belastung aus, indem
sie das Nahe undeutlich machen (Schrift/Information, Feinarbeit, z. B.
Nähen). Der Blick wird zerstreut, ungenau, global, interessiert sich nicht
mehr für die Details, für das Hier und Jetzt. Er schweift in die Ferne, in die
Vergangenheit, nach innen.
Wie schon Konfuzius sagte: man stolpert nur über Steine nicht über Berge.
e. Behandlung – der/die im Lebensalter Fortgeschrittene bekommt eine
Lesebrille. Die Lesebrille ermöglicht es, Wahrnehmungen auszublenden, die
man nicht sehen möchte (s. 2 c). Sie ermöglicht, sich selektiv nur die Dinge
aus der Nähe genauer anzusehen, auf die man sich bewusst konzentrieren möchte, die man wirklich wissen will. Und damit ermöglicht sie ein leichteres Ausblenden des unerwünschten Restes der Wahrnehmung in der näheren Umgebung.
f. Funktion – Ohne die Lesebrille gibt es mit Weitsichtigkeit verschiedene Möglichkeiten, die Augen zu richten:
- Gleichgültiger Streublick: starr nach vorn gerichtete leere Augen, die alles sehen, wobei das Gehirn nichts davon wirklich wissen will. Etwa wie erschöpfte Kriegsheimkehrer, die nur noch Schritt vor Schritt setzen, und nichts mehr aufnehmen können, weil sie schon zu viel gesehen haben.
- Durch die Undifferenziertheit des Blickes erscheint die Welt immer gleich, so als würde sich außen nie etwas verändern. Anregungen von außen werden nicht aufgenommen und das System erstarrt nach und nach. Man sieht alt aus.
Rilke „Der Tiger“: „Sein Blick ist vom Vorüberziehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält,
es ist als ob es tausend Stäbe gäbe,
und hinter tausend Stäben keine Welt….
- Hängender Glotzblick: mit hängendem Kopf nach vorn gerichteter passiv gestellter Blick, der quasi durch die sichtbare Welt hindurch nach irgendwo hinten guckt, ohne etwas im Hier und Jetzt wirklich wahrzunehmen. Vermutlich ein Blick in die Vergangenheit mit Hadern, Zweifel, Selbstvorwürfen. - Oder in die Zukunft mit hoffnungsloser, pessimistischer Perspektive.
- Geschlossene Augen/Blick nach innen, wegträumen nach nirgendwo, sich aus dem Hier und Jetzt davon stehlen in eine andere/bessere? Welt..
- Symbolisch: darüber hinwegsehen - das Hier und Jetzt nicht mehr so streng beurteilen; evtl. Altersweisheit, d h. möglicherweise, sich nicht mehr über so viele Kleinigkeiten aufregen.
g. Weitsichtigkeit im frühen Kindesalter – dazu habe ich keine Erfahrungen. Möglicherweise ist es ein vorkommendes Phänomen, das keine weiteren psychischen Belastungen anzeigt, sondern einfach nur einen möglichen Weg, bis Kinder sich auf die normale Sichtigkeit einstellen können.
j. Ursache – vermutlich analog 1 i. Warum das psychische System die Lösung über Auge und Gehirn sucht, hängt vermutlich von unterschiedlichen Bedingungen ab: genetisch, Problemlösemechanismen der Familie…
Denkbar wären ja auch andere psychische Lösungsmöglichkeiten, um mit den unbewussten Ängsten und/oder Überdruss umzugehen: Midlivekrise, neues Haus, neue Familie, neues Kind; Reisen, Kreativität; Bewusstseins- erweiternde Kurse (Yoga, Fitness, Wellness, Selbsterfahrung u. ä.) oder auch Reha/Klinik, Schwerhörigkeit, Depression, Suizid.
Was ich ausdrücken möchte ist nicht, dass Fehlsichtigkeit eine Krankheit ist, sondern dass es eine Schutzfunktion ist, die Augen/Gehirn in überlastenden Situationen einnehmen und chronifizieren, wenn ich sie mir nicht bewusst mache.
So wie die Verdrängung, die auch eine notwendige Funktion unserer Struktur ist, weil wir nicht alles Wissen in der Welt gleichzeitig verkraften.
Und meine Überlegung ist, dass die Bewusstheit darüber mir helfen kann, zu verstehen, warum ich diese Schutzfunktion eingenommen habe. Und dass mir das helfen könnte, die Fehlsichtigkeit aufzulösen.
Ich würde mich freuen, wenn ihr mir Rückmeldung geben würdest, ob euch etwas davon bekannt vorkommt, und ob ihr euch eine Wahrnehmung der Ursachen als hilfreich vorstellen könnt, die jetzige Fehlsichtigkeit aufzulösen.
Auch Korrektur fände ich hilfreich, ob ich etwas völlig falsch wahrnehme.
Liebe Grüße
Sina