Okay, also endlich zu einer Antwort: (und immer daran denken; ich taste mich da nur ran!)
Du hast dich in ein Metier „verirrt“, wo der Grundgedanke ist, dass der Gebrauch (die Sehgewohnheiten) das Auge formt. Das ist der gemeinsame Ausgangspunkt wohl aller hier im Forum, egal ob man dann mehr geistig (Aufmerksamkeit), mental (Psychologie) oder körperlich (Übungen) ansetzt. Ich für mein Teil sehe das übrigens durchaus nicht ausschließlich; ich denke schon, dass es eine bedeutende konstitutionelle Komponente (Gene, aber auch Allgemeingesundheit) gibt. Aber ersteres können wir eh nicht beeinflussen, um letzteres sorgen wir uns sowieso, also tun wir beides jetzt hier am besten ignorieren.
Auch von Schulmedizinern (die meist alles auf die Gene schieben;
vgl. hier) wird aber selten geleugnet, dass es zumindest im Negativen Beeinflussungsmöglichkeiten gibt: Paradebeispiel hierfür: die Kurzsichtigkeit durch „exzessive“ Naharbeit. Ein bisschen von dieser Entwicklung ist genau das, was du brauchst; - und zwar (erst mal) nur für's linke Auge, ich hab verstanden. Aber das kommt eben nicht von selbst, sondern ich hab oben gefragt, wie kann man dem nachhelfen.
Das ist natürlich die Preisfrage ...
Dein Augenarzt hat mit der Unterkorrektur links für dieses Auge bereits schon mal die Akkommodation gegenüber der Vollkorrektion zusätzlich gefordert; d.h., er hat funktionelle Weitsichtigkeit generiert (du musst mehr akkommodieren als Normalsichtige). Damit scheint er erreicht zu haben, - nach dem, was du berichtest -, dass dein linkes Auge unterkorrigiert sozusagen „funktionell normalsichtig“ geworden ist; damit meine ich, mit der Teilkorrektion erreichst du von nah bis fern ein scharfes Bild (so gut es eben wird), aber zusätzliches Plus (d.h. in deinem Fall weniger Unterkorrektur) nimmst du nicht an, ohne in der Ferne wieder schlechter zu sehen, - außer im eingetgropften Zustand.
Warum wirst du nun (bisher) nicht unterkorrigiert strukturell normalsichtig? Ich denke,
weil du ein Training brauchst, das dir unter anderem auch einen ausreichenden Gegenimpuls gibt, und nicht „nur“ passiv den Raum schafft für eine Myopisierung.
Auch wenn es bei Weitsichtigkeit meist umgekehrt ist als bei Kurzsichtigkeit (du bist als Kleinkind weitsichtig, - ist relativ normal - und bleibst aber dann beim Längenwachstum des Augapfels und der ihn umgebenden Muskeln zurück), bist du fehlsichtig geworden unter dem Einfluss deiner (unterbewussten) Sehgewohnheiten. Diese Sehgewohnheitsfehler laufen im Ergebnis darauf hinaus, dass dir die natürliche Welt, der natürliche Mix an Seh-Entfernungsangeboten, als Weitsichtiger „zu nah“ und als Kurzsichtiger „zu fern vorkommt“. Anders ausgedrückt, der Kurzsichtige fängt irgendwann an, typischerweise am Fernpunkt anzuspannen, d.h. refraktiv zu „verschlimmbessern“ (Bates: „strain to see“). Der Weitsichtige hingegen neigt zum selben Fehler am Nahpunkt, - zu dem bei stärkerer Weitsichtigkeit irgendwann übrigens auch der Blick in die Ferne gehört.
Als Weitsichtiger hast du eine mentale „Voreinstellung“ im Gehirn, dass die Dinge nicht so nah sein sollten, wie sie sind, und die zugehörige organische Realität (oder Konsequenz) ist die, dass du objektiv tatsächlich mehr anspannen (akkommodieren) musst als ein Normalsichtiger.
Dein Auge (Anatomie und Muskelkondition) ändert sich soweit (oder bleibt so fern der Normalsicht stehen), bis für dich Sehen an sich (in der Ferne ohne Hilfe, und in der Nähe erst recht) mental so selbstverständlich mit Anspannung verbunden ist, dass du Nahsicht nicht länger unterakkommodiert zu nehmen tendierst.
Vergleichbares beim Kurzsichtigen: Er wird so kurzsichtig, bis sein struktureller Fernpunkt so nah vor Augen liegt, dass damit mental nicht mehr die Vorstellung von Ferne, sondern nur noch von schwerigem Sehen verbunden wird.
So stell ich mir die Sache jedenfalls vor; und ich weiß, jetzt mach ich mich angreifbar von allen Seiten. Aber lassen wir die Sache erst mal so stehen: Ich denke, du wirst spätestens jetzt einwenden wollen:
'ich hab aber keine Probleme mit dem Nahsehen.' -- Ja, in der Tat, das MACHT mir auch Probleme, mich in die Lage von Weitsichtigen zu versetzen.
Einige Weitsichtige haben das, bevor sie sich vom Forum zurückgezogen haben, auch immer angedeutet: 'ihr Kurzsichtigen versteht gar nicht, worum es geht', 'bei euch ist Übung gleichbedeutend mit Schärfe gewinnen; wir sehen alles scharf, unsere Ziele sind schwerer zu greifen', o.ä. Tenor der Äußerungen.
Okay, ich verstehe das. Aber gerade deshalb mein Rat:
Mach einmal wirklich echtes Nahpunkt-Training. Und mit Nahpunkt meine ich nicht 50cm oder Leseentfernung und dann noch mit Linsenkorrektur (wenn auch unterkorrigiert). Sondern ich meine sowas wie 8 Dioptrien akkommodiert.
In deinem Alter dürfte das an sich noch locker zumutbar sein. Wahrscheinlich gehen sogar zehn. Also Linse raus, bzw. der Einfachheit halber, Linse drinlassen, und besorg dir eine Minusbrille, -8 Dioptrien beim Online-Optiker für 35 Euro zu haben, setz die drüber und lies vor dem Monitor aus 1m Abstand (kommt noch mal 1 Dioptrie dazu). Rechtes Glas am besten abgeklebt, damit du speziell links trainierst und außerdem keine Probleme mit der beidäugigen Koordination, Glaszentrieren etc. bekommst, - und dann immer 15 Minuten lesen und wieder entspannen. Ich denke, wenn du dann Glasstärke, Schriftgröße, Abstand und Übungsdauer ein bisschen anpasst, bekommst auch du eine Herausforderung auch an Sehschärfe und Bildqualität, woran du dann feilen kannst, besonders da dein linkes Auge ja von einer Schwachsichtigkeitssituation herkommt.
Ich habe dasselbe, auch einäugig, am Fernpunkt gamacht, und dabei neben guten Erfolgen auch eine Menge Beobachtungen gemacht, die ich in meinem persönlichen Pfad („Hab ich's doch gewusst – Kurzsichtigkeit ist eine Einstellung“) dokumenitert.
Was verspreche ich mir davon in deinem Fall?
Dein linkes Auge hat, so verstehe ich es, jetzt erst kürzlich im Training mit dem Augenarzt, richtig sehen gelernt. Dabei sind die entspanntesten Zustände (etwa 1 Dioptrie) ohne Zykloplegie nicht ganz scharf. Sie sind aber strukturell vorhanden. Das ist nicht unähnlich meiner eigenen Situation, derzeit im Übergang aus einer Kurzsichtigkeit. Die obersten ca. 0.5-0.75 Dioptrien sind inzwischen nachgewiesenermaßen existent (das waren sie vor einem halben Jahr noch nicht, die hab ich inzwischen durch Training „strukturell freigelegt“), aber sie sind qualitativ noch schlecht und vor allem unsicher einzustellen; sie kommen noch nicht von selbst. Bei dir ist die Lage vergleichbar, aber umgekehrt bewertet: sie sind noch vorhanden (wenn auch gut nur unter Tropfung) und du möchtest die strukturell wegbekommen.
Daher mein Tipp:
mach's umgekehrt wie ich. d.h. wie ein Kurzsichtig(er)-Werdender und spezialisiere dich (vorübergehend) auf den Nahgebrauch des Auges. Dafür musst du das alltägliche Sehangebot künstlich Richtung Minusrefraktion (Nähe) verschieben. Es ist halt ein Unterschied, ob du nur die obersten Dioptrien deines Akkommodationsspeilraums nie nutzt (wie duch die Unterkorrektion) oder ob du gezielt den unteren Bereich dieses Spielraums bewusst trainierst.
Sobald in den Übungspausen merkst, wie dein Blick für die Ferne anfängt, nur zögerlich frei zu werden (weggleiten zur Nahrefraktion), hast du m.E. die Entwicklungsimpulse, die die Weitsichtigkeit strukturell abbauen. In den Moment kannst du dann auch darüber nachdenken, stärker unterkorrigierte Linsen (links) zu nehmen.
Ein weiterer Gedanke könnte sein, um in diesen Übungspausen bei der Fernsicht nicht instinktiv zu sehr auf das rechte Auge zurückzugreifen, dieses (vorübegehend) überzukorrigieren. Der Vorschlag kommt speziell für dich infrage, weil du ja rechts gar nichts dagegen hast, eher noch weitsichtiger zu werden.
Ein nettes Nahziel könnte dann sein, rechts und links gleiche Stärken verwenden zu können und dann strukturell hineinzuwachsen.
Soweit hier. Ich kann nicht viel vorschlagen und schon gar nichts versprechen. Aber ich kann Mut machen, es mal zu versuchen. Wichtig ist natürlich, dass man sich gefühlsmäßig bei der Sache auf sicherem Grund weiß und von dem Konzept ein bisschen überzeugt ist. Das kann ich dir natürlich nicht „geben“. Aber ich wüsste nicht, dass dir hier irgendjemand einen verheißungsvolleren Weg präsentiert hätte.
Ich wünsche Dir, wie auch immer Du's machst, alles Gute und viel Erfolg. Frag ruhig zurück, nur professioneller und übersichtlicher als hier werden meine Ausführungen nicht werden. Dafür fühl ich mich in der ganzen Materie auch ehrlich gesagt zu sehr genasführt und im Stich gelassen. Bates ist tot und seine Anhänger sind, von der Lehre her gesehen, in heilloser Konfusion. Das "Witzige" ist nur, dass so etwas ähnliches wie "sein Ansatz" bei mir tatsächlich funktioniert hat.
Mit diesem "Witz" wird das Leben wieder leichter.